51. Jeder Schuss ein Treffer

von Charlotte Engmann

Jeder Schuss ein Treffer

(Die Vierte Ebene: Die Ring-Ebene)

von Charlotte Engmann

Die ersten Sonnenstrahlen eines überraschend warmen Tages vertrieben die Nebelschwaden aus der steinernen Arena,

in deren Mitte die kleine Schmiede stand.

Rauch stieg aus dem gemauerten Abzug über der Esse, und laute Hammerschläge kündeten vom Fleiß des Schmiedes.

Erst als ein Schatten auf seinen Amboss fiel, sah Snyr auf.

Vor ihm stand eine in braunes Leder gekleidete Gestalt, das Gesicht von einer Kapuze verdeckt.

Ein Bogen hing über der Schulter, ein leerer Köcher an der linken Seite.

Ein Schütze, dachte Snyr. Aus der Schlankheit der Glieder und der hochmütigen Haltung schloss er, dass es sich um einen Elfen handelte.

Doch als ihm eine schmale Hand wortlos eine Pfeilspitze entgegen streckte, stutzte er.

Konnte es ein Weibchen sein?

Es sah dem Stolzen Volk nicht ähnlich, dass ihre Frauen durch die Welt zogen.

Aber was ging es ihn an?

Er mochte diese Hochnasen sowieso nicht, die ihre Zeit mit eitlen Vergnügungen verschwendeten, anstatt zu arbeiten und Dinge von bleibendem Wert zu schaffen.

"Wie viele?", fragte er mürrisch.

"Ein Dutzend", antwortete ein helle, weiche Stimme, und Snyr sah seinen Verdacht bestätigt.

Vor ihm stand tatsächlich ein Hochnasenweibchen.

"Drei Silberstücke", verlangte er

Die Elfe zögerte, zog die Hand halb zurück.

"Ich... habe kein Silber."

Snyr schnaubte abfällig.

Dass Elfen kein Silber vertrugen, war genauso ein dummes Ammenmärchen der Menschen, wie die Mär von der großen Gier der Zwerge.

"Gold? Kupfer?", fragte er.

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern.

"Du hast gar kein Edelmetall?", erkannte Snyr halb verärgert, halb erstaunt.

"Und wie gedenkst du zu zahlen?"

Wieder dieses Schulterzucken, gefolgt von einem zögerlichen: "Ich kann jagen."

Er lachte hart auf.

Was für ein seltsamer Vogel diese Bogenschützin doch war!

Doch dann traf es ihn wie ein Hammerschlag.

Oh ja, die Elfe würde für ihn jagen - nur was, das würde er bestimmen.

"Abgemacht", stimmte er zu.

"Eine Beute pro Pfeil."

"Erst die Pfeilspitzen."

"Von mir aus... in drei Tagen."

Die Elfe nickte ruckartig, bevor sie sich umdrehte und auf den Rand der Lichtung zuschritt.

*

Snyr blickte ihr lange nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden war, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.

Er humpelte in den Wohnteil der Schmiede, doch seine Bewegungsfreiheit reichte nicht aus, um bis in die eine Ecke zu gelangen: die Kette, die um seinen Fuß lag, war zu kurz.

Seufzend ließ er sich nieder.

Wenn er auf dem Bauch lag, reichten seine Arme gerade bis an die Wand, und er konnte einen ganz bestimmten Stein herausziehen.

Dahinter verbarg sich ein Geheimfach, in dem sein kostbarster Besitz lag, ein kleiner Barren Trollith.

Das Metall hatte er versteckt, aufgehoben für einen ganz besonderen Anlass, denn daraus wollte er die Waffe seiner Rache schmieden.

Elfmal sollte die Bogenschützin für ihn ein Tier des Waldes erjagen, aber der zwölfte Pfeil musste das Herz der Zauberin Sordida treffen.

Dieses herrschsüchtige Weib war eines Tages in seiner Schmiede erschienen und hatte ihm schöngetan.

Sie hatte ihm die Sinne berauscht, ihn anschließend betäubt und zu ihrem Gefangenen gemacht, damit er für sie den schönsten Zierrat und die edelsten Waffen anfertigte.

Die Kette um seinen Fuß ließ sich weder schmelzen noch zerschmettern, nur durch Magie war sie zu öffnen.

Und sie fesselte ihn an seine Schmiede, so dass er dem Wohl und Wehe Sordidas ausgeliefert war.

Wenn er ihre Wünsche nicht erfüllte, ließ sie ihn dürsten und hungern, bis sein Wille ebenso wie sein Körper geschwächt war und er ihr gehorchte.Wütend warf Snyr mehr Holz ins Feuer, bis es so heiß wie sein Hass loderte.

Nicht mehr lange sollte sich Sordida an ihrem Gefangenen erfreuen und bereichern.

Schon bald würde das Heft sich wenden.

* *

Drei Tage später kehrte Dantana zu der Schmiede zurück.

Sie trat neben den Zwerg, und er legte zwölf neue Pfeilspitzen auf den Amboss.

Die metallenen Stücke glänzten voller Unschuld in der Sonne und verrieten nicht den Hass, der in sie hinein geschmiedet worden war.

Ohne eine Miene zu verziehen zog die Elfe einen hölzernen Schaft aus ihrem Köcher und setzte die Spitze darauf.

Sie passte wie angegossen.

Während Dantana die Arbeit prüfend musterte, biss sich der Zwerg auf die Lippen, um seinen Unmut zu verbergen.

Er hielt wohl seine Pfeilspitzen für Meisterwerke, jede einzelne für vollkommen. Würde sie etwas bemäkeln, würde er die Schuld auf ihrer Hände Arbeit schieben, nicht auf die seinige.

Dantana hob den Pfeil auf Augenhöhe.

Unzufrieden mit dem Lichteinfall drehte sie sich um die eigene Achse, kniff die Augen zusammen und blickte den Schaft entlang zum Waldrand.

In ihrem Gesichtsfeld erschien eine Reiterin.

Die Menschenfrau trug ein tief ausgeschnittenes, blutrotes Gewand, das sich eng an ihren üppig gerundeten Körper schmiegte.

Ihr hüftlanges, glattes Haar war schwarz wie ihr Ross.

Ein geschwärzter Eisengürtel lag um ihre schmale Taille, eine filigrane Kette gleichen Materials und Farbe um ihren schlanken Hals,

und in der ringgeschmückten rechten Hand hielt sie eine Reitgerte.

Ihre Haltung war ebenso stolz wie Dantanas, und auch ihre Augen funkelten vor Verachtung.

Das Stirnrunzeln des Schmieds entging Dantana ebenso wenig wie der Hass, der in seinen Augen aufloderte.

Sie warf den Pfeil hoch in die Luft, zog ihren Bogen und spannte, ehe der Pfeil seinen höchsten Punkt erreicht hatte.

Geschickt fing sie ihn wieder auf, legte an und schoss auf die Reiterin.

Tödlich getroffen schrie die Frau auf.

Das Pferd scheute, warf seine Reiterin ab und ging durch.

Ein Donnern erschütterte die Welt, und die Kette des Zwerges zerbrach.

In der folgenden Stille starrte der Schmied fassungslos erst die tote Zauberin an, dann sein befreites Bein und schließlich Dantana, die ruhig mit den Schultern zuckte.

Natürlich hatte sie die Kette bemerkt, die den Zwerg an seine Schmiede band, und sie hatte sich gefragt, wer ihn wohl gefangen hielt.

In den vergangenen Tagen hatte sie genug von Sordida gehört, um in der Reiterin die Zauberin zu erkennen.

Naja, sie hätte sich zwar irren können, aber das war nicht weiter wichtig.

Hauptsache, sie hatte ihren Pfeil getestet, und er hatte die Probe bestanden.

Der Zwerg leistete wirklich gute Arbeit.

"Habe ich getroffen, was du wolltest?", wandte sie sich an den Schmied.

"Wen willst du noch als meine Beute benennen?"

Vorbei

C. by Charlotte Engmann

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