53. Tödliche Schönheit

von Daniel von Euw

Tödliche Schönheit

(Die Vierte Ebene: Die Ring-Ebene)

von Daniel von Euw

Die Geschichte, die ich euch erzählen will, spielte in einem kleinen nebligen Königreich im Nordwesten der Herbstländer ab.

Dieses Reich, Kantania genannt, das sich bis zum Rande des Kaukará-Gebirges erstreckt, lebte lange Zeit in Frieden und Ruhe,

bis vor 100 Jahren den damaligen König Koronos der II die Neugier packte.

Es gab schon seit undenkbarer Zeit das Gerücht, im Westen des Königreiches - in den Lhoryt genannten Ausläufern des Kaukará

- wäre ein kleines, von der Umwelt abgeschiedenes Dorf.

Niemand wußte, wo es war oder ob es überhaupt existierte.

Jedoch ließ den König die Vorstellung nicht in Ruhe, daß es in seinem Königreich eine ihm unbekannte Siedlung geben könnte.

Und so begab er sich selbst auf die Suche nach diesem kleinen Dorf, das in den alten Sagen Helbatyan genannt wurde.

Er war 7 Monate unterwegs, ohne eine Spur des Dorfes zu finden.

Dafür traf er jedoch auf eine der sagenumwobene Blutelfen, die den Berg Khorken auf dem Innenring bewohnten,

diese Elfe war einem Lord ihres Volkes bis zum Außenring gefolgt, hier hatte der Blutelfenlord die junge Elfe verstoßen.

In Liebe zum jungen König entbrannt, wäre diese Blutelfe sogar bereit gewesen, ihn zu lieben.

Er jedoch machte sich über ihre Liebe lustig - nein, er wollte keine Verbindung mit einem dieser angeblich unsterblichen Monster eingehen -

und machte sich wieder auf den Heimweg, nun in dem festen Gauben, daß es dieses mysteriöse Dorf doch nicht gäbe.

Wenige Jahre später verliebte sich der bisher ledige König und heiratete im Zuge prunkvoller Feiern.

*

Doch kommen wir uns nun zur unserer eigentlichen Geschichte.

Sie begann mit einem einfachen jungen Mann namens Keran, der in dem Königreich Kantania lebte.

Er war 20 Jahre alt und verliebt.

Er konnte an nichts anderes mehr denken als nur an sie zu.

Wer sie war, das wußte er nicht, aber seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war es um ihn geschehen.

Er lag nächtelang wach, in der Gewißheit, daß sie nie zusammenfinden würden.

Selbst wenn sie für ihn das gleiche empfand wie er für sie - hatte sie ihn überhaupt wahrgenommen? - hätte seine Liebe keine Zukunft.

Er erinnerte sich immer wieder an ihre erste Begegnung:

**

Er war auf dem Markt gewesen und beeilte sich, nach Hause zu kommen.

Da er schwer beladen war, konnte er den Zusammenstoß mit einem jungen Mädchen, das aus einem Laden kam, nicht verhindern.

Hochrot im Gesicht half er ihr auf, raffte ihre Sachen zusammen und stammelte eine Entschuldigung.

Als er ihr dabei in die Augen blickte, wußte Keran, das er nur sie und keine andere wollte.

Sie dankte ihm kurz und ging mit ihren beiden Begleitern davon, die bei dem Zusammenstoß eine drohende Haltung eingenommen hatten.

Erst später kam ihm zu Bewußtsein, daß die beiden wohl Leibwächter gewesen sein mußten.

Wenn er sich richtig erinnerte - er hatte ja nur Augen für ihr wunderschönes Gesicht gehabt - war sie in kostbare Gewänder gekleidet gewesen.

Jedoch war ihm egal, wer sie war, er mußte sie unbedingt wiedersehen.

Keran erkundigte sich im ganzen Dorf nach ihr; doch keiner schien ein junges Mädchen aus reicher Familie zu kennen,

auf das seine Beschreibung paßte - bis er an den alten Rebock gelangte.

Als Keran ihm das Mädchen beschrieb, wußte dieser Bescheid und schüttelte traurig den Kopf:

"Sie wird für dich immer unerreichbar bleiben."

"Die Zeiten ändern sich, wenn sie mich liebt, ist auch ihr Stand von wenig Bedeutung - dort, wo ich herkomme, hat ein Mann, weniger als ich,

die Tochter des reichsten Kaufmannes in der Gegend geheiratet. Du siehst also, nichts ist unmöglich."

Der Alte schüttelte weiter den Kopf:

"Gestern war nur ein junges Mädchen in der Stadt, auf das deine Beschreibung passen könnte - Xenia, die liebliche Tochter unseres allseits geliebten Königs Koronos des VII.

Sie ist in die Stadt gekommen, um Blumen für das Grab ihrer Mutter zu kaufen, die vor einem Jahr gestorben ist."

***

Auch diese Nacht hatte Keran wieder schlecht geschlafen.

Als er am nächsten Tag seiner Arbeit nach ging, hörte er eine Nachricht, die ihn schockierte:

Die Wehrfrau war wieder aufgetaucht.

Jene tödlich schöne Bestie, welche die Gegend jedes Jahr im Frühling unsicher machte - und das schon seit 100 Jahren.

Jedesmal, wenn sie auftauchte, holte sie sich sieben Opfer, deren schrecklich zugerichtete Leichen man im nahen Wald fand.

Ob männlich oder weiblich, das spielte keine Rolle, nur jung und schön mußten sie sein.

Niemand, der sie aus der Nähe gesehen hatte, lebte noch, so daß keine genaue Beschreibung zu bekommen war.

Es hieß, sie würde ihre Opfer zunächst verführen, um sich dann während des Liebesspiels in eine reißende Bestie verwandeln, die sich am Blut ihrer Opfer stärke.

Niemand könne ihrer Schönheit und ihrer erotischen Anziehungskraft widerstehen, und derjenige, der sie zu Gesicht bekäme, würde von ihr magisch angezogen -

wie eine Fliege vom Licht.

Selbst die wenigen, die sie kurz vor Sonnenaufgang aus der Ferne erblickt hatten, sprachen von ihrer Ausstrahlung, welche sie über hunderte von Metern noch in ihren Bann gezogen hatte -

sie waren nur durch das anbrechende Tageslicht gerettet worden, vor dem die Bestie floh.

Die Zeit verging, und kaum jemand wagte noch, sich der Bestie entgegenzustellen.

Schon vor Jahren hatte der König versprochen - nachdem seine ältere Tochter der Bestie zum Opfer gefallen war - daß derjenige, der die Wehrfrau besiegte,

seine jüngere Tochter Xenia an ihrem sechzehnten Geburtstag zur Frau bekäme.

Trotzdem waren nur wenige Todesmutige das Wagnis eingegangen, und keiner von ihnen ward jemals lebend wiedergesehen.

****

Als Keran an diesem Abend zusammen mit dem alten Rebock in seiner Stammschenke saß, fragte er nachdenklich:

"Meinte der König wirklich jeden, dem es gelänge?",

und "Ob das Angebot wohl noch immer steht?"

Rebock antwortete langsam und bedächtig:

"Ja, jeder - und soweit ich weiß, gilt das Versprechen noch immer, aber nur noch zwei Monate lang. Denn dann ist Prinzessin Xenia's sechzehnter Geburtstag,

an dem sie nach altem Brauch heiraten wird. Es haben, wie ich hörte, schon viele Barone um ihre Hand angehalten, aber ihr Vater hat sich noch nicht entschieden"

Rebock musterte ihn scharf. "Du denkst doch hoffentlich nicht daran, selbst die Wehrfrau stellen zu wollen?"

"Nein, nein" versuchte Keran zu beschwichtigen; "...war nur so ein Frage."

*****

Xenia stand auf dem Balkon ihres Zimmers und schaute sinnierend in die langsam hereinbrechende Dunkelheit.

Sie dachte an die Warnungen ihres Vaters, bei Anbruch der Dunkelheit die Läden zu schießen und in ihrem Zimmer zu bleiben.

Seit ihre Schwester vor Xenias Augen von der Bestie getötet worden war, lebte er in ständiger Angst um sie.

Damals war es ihm im letzten Augenblick gelungen, sie zu retten; seine Männer hatten die Bestie noch lange gejagt, sie aber nicht erwischt.

Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich die Sache noch verschlimmert.

Und jetzt, da die Bestie wieder ihr Unwesen trieb, fühlte sie sich fast wie eine Gefangene.

Wenn doch nur ihre Mutter noch lebte!

So aber war sie auf sich alleine gestellt.

Trübsinnig dachte Xenia daran, daß sie schon in wenigen Monaten verheiratet sein würde - verheiratet mit einem Mann, der ihr Vater sein könnte und den sie gar nicht kannte.

Ihr Vater würde sich Ende der Woche für einen der Bewerber entscheiden.

In Gedanken ging Xenia die Liste ihrer Verehrer durch. Nein, sie konnte wirklich nicht sagen, wer von ihnen nun das kleinere Übel sein würde.

Wenn sie sich doch nur selbst ihren Ehemann aussuchen dürfte -

vielleicht den netten jungen Mann, mit dem sie vor einigen Tagen beim Einkaufen zusammengestoßen war.

Ja, er wäre genau der Richtige. Seit sie ihn getroffen hatte, mußte sie ständig an ihn denken.

'Schluß jetzt', unterbrach sie sich dann aber ärgerlich; diese Tagträume brachten ihr nichts.

Niemals würde sie einen einfachen Stadtbewohner heiraten können, auch wenn sie ihn liebte.

Seufzend ging sie in ihr Zimmer zurück.

*****

Es war dunkel geworden, während Keran in seiner Kneipe saß und sich nicht entschließen konnte, ob er es wagen sollte oder nicht.

Da hörte er, wie einer der anderen Gäste zum Wirt meinte:

"Ende der Woche wird sich der König für einen Bewerber entschieden haben - das arme Ding".

Das beendete seine Grübeleien abrupt und Keran brach auf, um sich auf die Suche nach der Bestie zu machen.

Es war fast schon Mitternacht, und seine Suche nach einer Spur der Wehrfrau war immer noch erfolglos.

Als er eine einsame, vom Mondschein beschienen Waldlichtung erreichte, ließ er sich am deren Rand nieder, um sich auszuruhen.

******

Xenia hielt es in ihrem Zimmer nicht mehr aus.

Sie mußte hinaus, ein kurzer Spaziergang in Schloßnähe konnte doch nicht gefährlich sein, sie mußte halt nur in Rufweite bleiben.

Und so setzte sie ihre verhängnisvolle Idee in die Tat um und schlich sich aus einer fast nie benutzten Hintertür.

*******

Keran war kurz eingenickt, als ihn plötzlich der Schrei eines Käuzchens aufschreckte.

Als er hochblickte, riß er die Augen vor Erstaunen weit auf.

Er glaubte nicht, was seine Augen erblickten.

Am gegenüberliegenden Waldrand stand eine überirdisch schöne Frau, die ein dünnes, anscheinend seidenes Gewand trug.

Langsam schritt sie auf ihn zu. Er konnte im Mondlicht deutlich erkennen, daß sie darunter völlig nackt war.

Das konnte nur die Wehrfrau sein - eine so betörend schöne Frau und trotzdem eine Bestie?

Er dachte an all die Leichen, die es schon gegeben hatte und zog ein Küchenmesser, das er als Waffe mitgenommen hatte.

Plötzlich kam er sich lächerlich vor, wie er mit dem Küchenmesser in der Hand dastand, um das zu vollenden, was selbst den Rittern des Königs nicht geglückt war.

Die Frau blieb vor ihm stehen, hob ihre Arme und meinte lächelnd: "Du willst mich also töten".

Zitternd hob Keran die Klinge - nein, er konnte es nicht tun.

Resignierend warf er das Messer weg.

"Komm zu mir", lockte sie ihn, "umarme mich, küsse mich."

Die Anziehungskraft, die sie ausstrahlte, war unbeschreiblich; trotzdem gab er nicht nach.

Er dachte nur an seine Xenia und daran, daß er nur sie liebte.

Wütend und erstaunt ließ die Frau ein tiefes Grollen hören.

"So stirb denn, Elender", knurrte sie und begann, sich in eine Bestie zu verwandeln, in eine unbeschreibliche Mischung aus Mensch und Tier.

Wild sprang sie ihn an und riß ihn zu Boden.

Ihm blieb keine Chance.

Während er nach seinem Messer tastete, riß die Bestie ihr Maul auf und setzte zu einem tödlichen Biß an.

Unbewußt schrie Keran laut auf, während seine letzten Gedanken seiner großen Liebe galten.

Dann, Sekundenbruchteile bevor ihre Fänge seine Kehle zerfetzten, wurde ihm schwarz vor Augen.

*******

Die Wachen des Königs liefen wie aufgescheucht durch den dunklen Wald in der Nähe des Schlosses.

Der König hatte die Abwesenheit seiner Tochter bemerkt und fürchtete nun um ihr Leben.

Die Wachen hatten strickte Anweisung, nur mit Xenia wiederzukommen.

Zwei der Wachen hörten plötzlich von ferne ein wildes Fauchen und einen Todesschrei.

So schnell sie konnten, liefen sie in die Richtung, aus welcher der Schrei gekommen sein mußte,

erfüllt von der Angst, daß sie zu spät kommen würden.

********

Keran kam langsam wieder zu Bewußtsein und wunderte sich, daß er noch lebte.

Als er sich langsam aufrichten wollte, bemerkte er den leblosen Frauenkörper, der auf ihm lastete.

Er wühlte sich darunter hervor und drehte die Frau herum.

Ein eisiger Schreck fuhr durch seine Glieder, denn vor ih

Während er so über sie gebeugt war, wurde Xenia wacht.

Als sie ihn sah, glitt ein glückliches Lächeln über ihre Lippen; dann wurde sie wieder ohnmächtig.

Seine Gedanken gerieten völlig durcheinander.

Wo war die Bestie?

Wie kam Xenia hierher?

Und....

Plötzlich bemerkte Keran, wie zwei Männer auf ihn zuliefen.

Während einer der Wachen ihn mit ihrem Schwert in Schach hielt, untersuchte die andere Wache Xenia.

Sie drohten Keran; fragten, was passiert sei, und waren genau so ratlos wie er.

Dann brachten sie die Xenia nach Hause und sperrten Keran in eine Zelle, in der er bleiben sollte, bis die Wahrheit ans Licht käme.

*********

Während Keran so da lag, keinen Schlaf fand und nicht wußte, was er am nächsten Tag sagen sollte, kam ihm ein grausamer Verdacht -

aber nein, das konnte doch nicht sein.

Auf jeden Fall schwor er sich, nicht weiterzuerzählen, was er tatsächlich erlebt hatte - oder gar, was er nun befürchtete.

Mit schweren Gedanken fiel er endlich in einen unruhigen Schlaf.

**********

Am nächsten Morgen bekam Keran ein fürstliches Frühstück und wurde zum König und seiner Tochter gebracht, die ihm immer wieder dankten.

Als der König wissen wollte, was genau passiert sei, begann er zu erzählen.

Er sei aufgebrochen, um die Wehrfrau zu stellen, und sei gerade zur rechten Zeit aufgetaucht, als die Bestie Xenia habe töten wollten.

Er habe sich sodann auf die Bestie gestürzt und mit ihr gekämpft.

Gerade als er zu unterliegen drohte, gelang es ihm einen Dämonenbanner, den er vor Jahren von einem seltsamen alten Mann bekommen habe, gegen die Wehrfrau einzusetzen.

Daraufhin habe sich der Dämonenbanner und die Bestie in einem grellen Lichtblitz, durch den er in Ohnmacht gefallen sei, aufgelöst.

"Wie gut, daß ich in meiner Jugend dem alten Geschichtenerzähler meines Heimatortes gut zugehört habe.", dachte Keran.

Die kleine Schwindelei kam ihm glatt von den Lippen - schließlich beschützte er nur seine große Liebe.

"Was möchtet Ihr als Dank von mir haben?" sprach darauf der König.

"Nur das, was Ihr dem versprochen habt, der die Bestie besiegt." antwortete Keran mit einem liebevollen Seitenblick auf Xenia.

Die Bestie tauchte in den folgenden Monaten nicht mehr auf, und so verkündete der König die Hochzeit seiner geliebten Tochter mit Keran, dem Mann aus dem Volk.

Als der König starb, wurde dieser junge Mann der neue König des Reiches Kantania.

***********

Sie lag im Sterben.

Nie hätte sie für möglich gehalten, daß es soweit kommen würde.

Es war nun fast 100 Jahre seit jenem verhängnisvollem Treffen vergangen.

In Liebe zu dem König eines fernen Reiches war sie bereit gewesen, alles aufzugeben, um ihm zu folgen.

Als er sie jedoch zurückstieß und verhöhnte, schwor sie fürchterliche Rache.

Sie sprach einen Fluch gegen die königliche Familie aus, der immer auf dem jeweils ältesten weiblichen Mitglied der Familie lasteten würde

- nie sollte er mit einer anderen Frau glücklich zusammen leben können....

Nun ist der Fluch einer Blutelfe einer der mächtigsten Zauber der ganzen Würfelwelt.

Die Elfe bindet dabei ihre gesammte Lebenskraft in den Fluch, welcher denn auch ihr ganzes Leben lang anhält, und wie jeder weiß sollen Blutelfen unsterblich sein.

Es gibt immer nur eine einzige Möglichkeit, einen solchen Blutelfenfluch zu brechen - wodurch die Elfe dem Tode geweiht ist.

Während sie ihre letzten Atemzüge tat, zeigte ihr Gesicht den Ausdruck ungläubigen Erstaunens: Nie hätte sie gedacht, daß ihr Fluch gebrochen werden könnte.

Aber nun hatte sich die alte Prophezeiung erfüllt:

"Dieser Fluch, der immer auf dem ältesten weiblichen Mitglied der verfluchten Familie lastet, kann nur von einem Mann gebrochen werden,

der die Bestie reinen Herzens liebt und der Verlockung des Bösen widerstehen kann"

Ende

C. by

Daniel von Euw

Die Würfelwelt
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