57. Nola

von Winfried Brand

Nola

(Die Vierte Ebene:Die Ring-Ebene)

v. Winfried Brand

Angestrengt lauschte Nola durch die Dunkelheit innerhalb der Hütte.

Die einzigen Geräusche, die sie vernahm, waren die regelmäßigen Atemzüge, ihrer Eltern, die im Raum nebenan endlich fest zu schlafen schienen.

Es hatte ja auch lange genug gedauert, bis das Stöhnen und die rhythmischen Geräusche nachgelassen hatten.

Nola hatte noch eine ganze Zeit still dagelegen und gelauscht, doch jetzt schien endlich Ruhe zu herrschen.

Vorsichtig darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen,das ihre Eltern vielleicht aufgeweckt hätte, glitt sie von der Strohmatratze,

die ihr als Schlafstätte gedient hatte, solange sie denken konnte.

Rasch streifte sie sich ein Hemd über, stieg in eine Hose und schob dann den Vorhang zur Seite, der ihre kleine Schlafkammer vom Hauptraum der Hütte trennte.

Es war immer noch alles ruhig, als sie die Außentür öffnete und ins Freie glitt.

*

Draußen wandte sie sich nach rechts, huschte um die Hütte herum und lief auf den nahe gelegenen Wald zu.

Wenig später hatte sie die Stelle erreicht, an der sie gestern einen Beutel mit Vorräten und anderen Ausrüstungsgegenständen versteckt hatte.

Sie atmete auf, als sie ihn immer noch in seinem Versteck vorfand,warf ihn sich über die Schulter und verschwand in der undurchdringlichen Nacht zwischen den Bäumen.

Sie hatte es geschafft, triumphierte sie innerlich, bemerkte jedoch nicht die Gestalt, die fast unsichtbar wenige Meter neben ihr durch den Wald schlich.

Als Mekos, die kleinere der beiden Sonnen, aufging, war Nola bereits mehr als fünf Stunden Fußmarsch von ihrem Zuhause entfernt.

Sie war in der Dunkelheit gut vorangekommen, hatte sie den Weg doch schon seit Monaten gründlich ausgekundschaftet, seit in ihr der Plan reifte, ihr Heim hinter sich zu lassen

und zu den Peruliah zu fliehen. Sie wollte ihr Leben nicht so führen,wie ihre Eltern es für sie vorgesehen hatten -sich irgendwann einen Mann zu suchen

und mit ihm den kleinen Bauernhof ihrer Eltern zu bewirtschaften, kam ihr nicht gerade als Erfülung ihrer Träume in den Sinn. Sie wollte mehr erleben, neues kennen lernen, ihren Erfahrungshorizont erweitern und vielleicht sogar Länder kennen lernen,

von denen sie an den Marktagen immer die anderen Mädchen hatte erzählen hören ,in denen die Männer das Sagen hatten,

so unglaublich das auch klingen mochte.

Langsam wurde sie müde, war sie doch die letzten Stunden ohne Rast gewandert, und so langsam näherte sie sich Gebieten des Chainiz,

die ihr unbekannt waren.Sie ließ sich auf einem Felsblock nieder und machte sich an ihrem Beutel zu schaffen.

Nachdem sie eine Portion Reis verspeist hatte, die sie vom gestrigen Mittagstisch entwendet hatte, fühlte sie sich gestärkt.

**

Sie packte ihre Sachen wieder zusammen und nahm ihre Wanderung wieder auf.

Der Wald um sie herum war in der letzten halben Stunde immer lichter geworden,bis sie schließlich den Punkt erreicht hatte,wo er nicht mehr Wald genannt werden konnte.Hier begannen große Wiesenflächen,auf der einzelne Herden von Tieren grasten, die sie bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.

Sicher, das eine oder andere Tier war ihr schon bekannt,aber meistens nur aus den Erzählungen der fahrenden Händler, die das Dorf, zu dem der Hof ihrer Eltern gehörte,

manchmal besuchten und dann des öfteren bei ihren Eltern übernachteten.

Sie erzählten dann die Geschichten aus der großen weiten Welt, bei denen Nola stets wie gebannt an ihren Lippen hing und jedes Wort einzeln aufzusaugen schien.

Sie zögerte einen Moment, dann schritt sie entschlossen weiter.

Wenn sie jetzt umkehrte, würde sie nie wieder den Mut finden,ihren Traum zu verwirklichen, dann wäre sie auf ewig an den Hof gefesselt,

so wie ihre Mutter, und das einzige Vergnügen, das ihr noch bliebe,wäre der unregelmäßige Besuch der Händler und deren Geschichten.

Nein, so wollte sie nicht enden, das hatte sie sich schon seit langem geschworen und alles für diesen einen Versuch vorbereitet.

***

Immer wieder standen einzelne Bäume zwischen dem grünen, hohen Gras,das ihr bis fast zur Brust reichte.

Trotz der nun schon seit Tagen scheinenden Sonnen, die alles aus- trockneten, das sie mit ihren Strahlen erreichen konnten, war das Gras am Boden naß,

fast wie auf den Reisfeldern, die ständig unter Wasser standen.

Während sie oberen Teile der Gräser regelrecht gebleicht waren, platschten ihre nackten Füße.immer wieder durch kleine Pfützen, die sich am Boden gebildet hatten.

Wenig später hatte sie eine kleine Baumgruppe erreicht, unter deren schützendem Blätterdach sie eine Rast einlegte.

Inzwischen mußte es Mittag sein, und sie konnte die Müdigkeit kaum noch abwehren.

Erschöpft lehnte sie sich neben ihrem Päckchen an einen Baumstamm und schloß die Augen.Eigentlich wollte sie nur ein paar Minuten ausruhen, um dann den Weg wieder aufzunehmen,

doch schon nach wenigen Sekunden war sie eingeschlafen

und träumte von den Peruliah und den fremden Ländern, die sie als eine von ihnen auf ihren Wanderschaften kennenlernen würde.

Den Schatten, der ihr noch immer folgte, hatte sie noch nicht bemerkt.

****

Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, als sie wieder aufwachte.

Verwirrt blickte sie sich um; sie konnte sich zuerst nicht erklären, wo sie sich befand,

doch dann fiel es ihr wieder ein.

Sie hatte schon mehrmals Nächte außerhalb des Hofes ihrer Eltern verbracht,

doch noch nie war sie so weit davon weg gewesen.

Auch fürchtete sie nicht mehr, daß ihre Eltern sie noch einholen würden.

Sie bezweifelte, daß sie jemals so weit von ihrem Heim entfernt gewesen waren wie sie selbst zu diesem Zeitpunkt.

Nur kurz dachte sie daran, was ihre Eltern jetzt wohl machen würden, doch diesen Gedanken schob sie schnell wieder von sich.

Sie hatte ihnen eine kurze Nachricht hinterlassen, die ihnen - wenn schon nicht alles, so doch das wichtigste erklären würde.

Zwar hatte sie nie wirklich gelernt zu schreiben, doch hatten ihr die Händler das ein oder andere beigebracht,

so dass sie sich auf diese Art wenigstens verständlich machen konnte.Das musste ihren Eltern einfach reichen.

Außerdem bezweifelte sie, dass ihre Eltern das Lesen und Schreiben besser beherrschten als sie selbst.

Sie schulterte ihr Päckchen und machte sich wieder auf den Weg Richtung Norden in Richtung Himinin, wo sie ein Kloster der Peruliah wußte.

Dorthin zog es sie schon seit drei Jahren, als sie einmal eine der Peruliah gesehen hatte, die auf ihren Wanderungen durch ihr kleines Dorf gekommen war.

Seither war sie die Gedanken an die orangegewandeten Geistlichen nicht wieder losgeworden, die sich so bescheiden verhielten,

aber besser zu kämpfen wußten als alle anderen Frauen und Männer im Reich der Drachenkaiserin.

Immer wieder hatte sie danach versucht, von den Händlern neue Informationen über die Peruliah herauszufinden,

doch mehr als Legenden hatte sie nie zu hören bekommen.

Die Geistlichen waren eben nicht auf Ruhm aus, sondern wirkten fast immer im Verborgenen, so schien es.

*****

Sie war noch nicht weit gekommen,als sie ein seltsames Geräusch hinter sich hörte.

Ihr war es, als ob irgendetwas sie verfolge. Sie blieb stehen und lauschte, doch das Geräusch war verschwunden.

.Erst nach mehreren Minuten wagte sie wieder, sich zu bewegen,und da war auch das Geräusch wieder.

Jetzt war sie sich sicher'.

Irgendetwas verfolgte sie.

Sie mußte an die Shinah denken, die Nachtjäger,die manchmal auch Menschen anfallen sollten,wenn man den Erzählungen Glauben schenkte.

Sie schaute sich kurz um, konnte jedoch noch immer nichts entdecken.

Sollte es jedoch wirklich eine Shinah sein, war dies kein Wunder, denn das hohe Gras mußte sie fast gänzlich verdecken, und außerdem pirschten sie sich geduckt an ihre Opfer heran,

so daß dieses den Angreifer erst im letzten Moment bemerken würde.

Gehetzt blickte sie um sich und entdeckte in vielleicht hundert Metern Entfernungeine kleine Baumgruppe; diese war jener, die sie bis vor kurzem für ihr Nachtlager genutzt hatte,

nicht unähnlich.

Zuerst vorsichtig, dann immer schneller begann sie, auf die Baumgruppe zuzulaufen.

Wenn sie diese erreichen konnte, wäre sie gerettet, denn die Shinah konnten nicht klettern; so zumindest erzählte man sich. Ein kurzer Blick nach hinten spornte sie noch weiter an,

denn nur fünfzig Meter hinter ihr hatte die Shinah ihre Vorsicht fallengelassen, als sie bemerkte, daß ihr Opfer ihr zu entwischen versuchte.

Mit weiten Sprüngen hetzte sie nun durch das hohe Gras und war nicht mehr zu überhören.

Die Shinah kam rasend schnell näher.

Nola warf nun ihr Päckchen von sich und verdoppelte ihre Anstrengungen.

Ein leises Aufkeuchen drang an ihre Ohren; dann hatte sie endlich die Baumgruppe erreicht,griff nach einem der unteren Äste und zog sich daran in die Höhe.Sie kletterte von Ast zu Ast weiter nach oben,bis sie schließlich mehr als zehn Meter über dem Boden endlich innehielt.

Dann schaute sie zurück.

Die Shinah lag wenige Meter von der Baumgruppe entfernt im Gras, so daß sie kaum zu entdecken war.

Aus irgendeinem Grund rührte sie sich nicht, aber Nola war das egal.

Hauptsache, sie war in Sicherheit.

Jetzt brach die Aufregung in ihr hervor, und sie begann zu zittern. Stumm hielt sie den Stamm des Baumes umklammert, während sie darauf wartete,

daß die Shinah sich wieder rührte und endlich davonlaufen würde, wenn sie einsah, daß sie ihr Opfer nicht bekommen würde.

******

Nola schreckte hoch.

Sie mußte trotz der Aufregung eingeschlafen sein, denn Mekos stand schon mehrere Fingerbreit über dem Horizont.

Sie hatte vom Sonnenaufgang gar nichts mitbekommen, und es würde nur noch wenige Minuten dauern, bis auch Aliseth ihr Antlitz über die weite Ebene erheben würde.

Sie mußte nun schon mehr als sechs Stunden auf dem Baum gesessen haben, und als sie sich versuchsweise reckte,

konnte sie sich kaum bewegen, so sehr schmerzten ihre Glieder, die bis jetzt unter steter Anspannung gestanden hatten.

Als sie nach unten auf die grasbewachsene Ebene blickte, konnte sie die Shinah noch immer regungslos im Gras liegen sehen.

So langsam wunderte sie sich über den Nachtjäger.

Normalerweise sollten diese bei Tagesanbruch doch eigentlich in ihren Bau unter der Erde verschwinden,hatte man ihr erzählt.Doch diese Shinah lag immer noch unweit der Baumgruppe herum.Neben der Shinah entdeckte Nola jetzt auch ihr Päckchen mit ihren Sachen,

das sie letzte Nacht von sich geworfen hatte.

Es lag vielleicht einen halben Meter vom Kopf der Shinah entfernt.

Angestrengt dachte Nola nach.

Sie mußte unbedingt ihr Päckchen wiederbekommen,denn sie wußte nicht, wie sie sonst in der Wildnis überleben sollte.

Hier gab es außer dem Kloster der Peruliah,keine andere Niederlassung menschlicher Wesen.

Dieses Gebiet gehörte noch ganz den Tieren, die selten in ihrer Ruhe gestört wurden.

Dafür sorgte schon die Drachenkaiserin, die darauf bedacht war. diesen Zustand zu erhalten, zumindest in diesem Gebiet,

vielleicht waren es aber auch die Peruliah, die ihr diesen Gedanken eingegeben hatten.

Nola wollte dies nicht ausschließen, denn sie wußte, daß die Peruliah einigen Einfluß auf die Drachenkaiserin hatten,wenn es ihre Belange anging.

Denn wer wollte es sich schon mit den Peruliah verderben?So wurde es Nola jedenfalls erzählt.

Nachdem sich die Shinah nach vielleicht einer Stunde immer nochnicht bewegt hatte und Aliseth schon lange ihren Weg über die Ebene begonnen hatte, wagte Noa es schließlich, sich zu bewegen.

Langsam, immer bereit,wieder den Rückzug anzutreten, wenn die Shinah auch nur die leiseste Bewegung zeigte, begann Nola, von dem Baum herunterzuklettern.

Zuerst stöhnte sie leise bei jeder Bewegung, die sie ihren verkrampften Gliedern zumuten mußte, doch mit jedem Ast, den sie tiefer gelangte, wurde es besser.

Immer wieder warf das Mädchen einen Blick zu der Shinah hinunter, doch noch immer rührte sie sich nicht.

Regungslos lag sie neben dem Päckchen Nolas, die sich immer mehr wunderte.

Schließlich hatte sie den untersten Ast erreicht und überlegte, ob sie nun die Sicherheit des Baumes ganz verlassen oder oder vielleicht doch lieber warten sollte.

Doch das Hungergefühl, das sich in ihrem Magen .langsam breitmachte, beeinflußte ihre Entscheidung schließlich zugunstender grasüberwachsenen Ebene.

Auch als sie wieder im hohen Gras stand,rührte sich die Shinah immer noch nicht, und so bewegte sich Nola weiter auf sie zu.

Je näher sie dem Nachtjäger kam, desto vorsichtiger wurde sie.

Doch als sie sie schließlich erreicht hatte, stellte sie fest, daß ihre Vorsicht gar nicht notwendig gewesen wäre, denn der Nachtjäger war tot.

*******

Sie mußte wohl mit ihrem Päckchen die Shinah getroffen haben, als sie es in Panik von sich geworfen hatte, und dieser Treffer mußte den Nachtjäger so glücklich getroffen haben,

daß er sofort tot war.

Achselzuckend warf sich Noia ihr Päckchen wieder über die Schulter und setzte ihren Weg nach Norden weiter fort.Jetzt war sie entschlossener als je zuvor, das Kloster der Peruliah zu erreichen

und eine von ihnen zu werden.

Allerdings würde sie von nun an nur noch tags weiterwandern undsich für die Nacht einen Baum suchen, den noch eine Begegnung mit einer Shinah würde wohl nicht so glimpflich ausgehen.

Der Schatten, der sich nur wenige Meter neben ihr befand, bemerkte sie jedoch immer noch nicht.

Als der Tag sich dem Ende zuneigte hatte sie die Gras bewachsene Ebene bald hinter sich gelassen.

Am Horizont konnte sie bereits wieder den Waldrand erblicken, doch war er noch zu weit entfernt, als daß sie ihn heute noch würde erreichen können.

So machte sie es sich auf der Astgabel eines Baumes bequem und versuchte einzuschlafen.

Doch dauerte es lange, bis sie wirklich Schlaf fand.

Die Aufregung und die Gedanken an die Peruliah, denen sie sich bald anschließen würde, ließen sie lange Zeit keinen Schlaf finden.Irgendwann jedoch schlief sie dann doch ein, begleitet von den Geräuschen der Grasebene, die allgegenwärtig schienen und die sie nun kaum mehr wahrnahm.

Als sie aufwachte, war die Nacht vielleicht gerade zur Hälfte vergangen, und zuerst wußte sie nicht, was sie geweckt hatte.

Dann spürte sie jedoch einen leichten Druck auf ihrem Oberkörper, der sich verstärkte, als sie versuchte, sich etwas vom Baumstamm wegzubewegen.

Nola war sich sicher, daß sie sich nicht am Baumstamm festgebunden hatte, denn sie hatte gar kein Seil mitgenommen.

Aber was war es dann, was sie am Baum festhielt?

Plötzlich bewegte sich das Band um ihre Brust und zog sich enger.

Jetzt erst schaute sie an sich herunter und bemerkte, daß eine große Schlange sie im Griff hatte.Mit einem Schrei fuhr sie hoch und verlor die Balance.

Mit so einer Aktion schien auch die Schlange nicht gerechnet zu haben, denn sie gab Nola frei, die aus der Umklammerung herausrutschte und langsam zur Seite kippte.

Wenigstens hatte sie jetzt ihre Arme wieder frei, und so griff sie wild um sich und bekam den Schwanz der Schlange zu fasen,an dem sie sich festhielt,

als sie trotz aller Bemühungen dann doch von der Astgabel rutschte und sich dem fünf Meter tiefer liegenden Boden immer schneller näherte.

Plötzlich fuhr ein Ruck durch ihre Arme, der sie fast ausgekugelt hätte.

Aber er bremste den Fall.

Nola sah nach oben und sah, daß die Schlange, deren Schwanz sie immer noch umklammert hielt, verzweifelt bemüht war,sich an der Astgabel, auf der Nola eben noch geruht hatte, festzuklammern.

Doch es gelang ihr nicht, und sie begann ebenfalls abzurutschen.

Langsam rutschte so auch Nola tiefer, dem Erdboden entgegen.

Gerade in dem Moment, als die Schlange endgültig den Halt verlor, ließ Nola los und fiel die letzten zwei Meter nach unten.

Während die Schlange neben ihr auf den Boden fiel, rollte sich Nola ab und griff nach einem Stein,auf den sie fast gefallen wäre.

Mit aller Kraft schmetterte sie den Stein der Schlange an den Kopf, die leicht benommen schien.

Immer wieder schlug sie auf die Schlange ein, bis diese sich nicht mehr rührte.

Dann setzte Noia sich schwer atmend auf den Boden und versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bringen,das ihren Körper wieder befallen hatte.

Sie fragte sich, ob sie immer zittern würde, wenn sie eine gefährliche Situation hinter sich hatte,

und sie fragte sich, ob das Zittern nicht irgendwann früher anfangen würde - und sie irgendwann umbringen würde,

weil ihr Körper einmal nicht richtig reagieren würde.

********

Doch sie war noch zu jung, als daß solche Fragen sie über einen längeren Zeitraum hinweg beschäftigt hätten,

und so hatte sie sie bald schon vergessen.Wenig später war sie wiederr zur Ruhe gekommen.

Inzwischen war sie fast schon froh über den Angriff der Schlange, denn er half ihr, ihre Vorräte wieder ein bisschen aufzufüllen.

Sie hatte schon öfters Fleisch dieser Schlange gegessen und so wußte sie, dass es nicht giftig war.

Diese Schlangenart war fast so etwas wie eine Delikatesse unter den Dorfbewohnern ihrer Heimat -und sie hatte mehrmals zugesehen,

wie man eine solche Schlange ausgenommen hatte.

So wußte sie auch, wie man den Kontakt mit den Giftdrüsen vermeiden konnte, die bei falscher Behandlung das ganze Fleisch .ungenießbar machen konnten..

Da sie so so schnell nicht wieder einschlafen konnte, zog sie ein kleines Messer hervor und machte sich daran, das Fleisch der Schlange von der Haut zu lösen.

Der helle Mond spendete ihr hierbei genügend Licht, und als Mekos über den Horizont erschien, hatte sie die Arbeit. vollendet.

Nachdem sie ein Feuer entzündet hatte, briet sie darüber das Fleisch der Schlange und machte sich dann daran, es zu verzehren.Während sie dasaß und aß, schaute sie immer wieder in Richtung des Waldrandes, der in nördlicher Richtung nicht mehr weit von ihr entfernt lag.

Noch vielleicht drei oder vier Stunden, und sie würde ihn erreicht haben.

Und irgendwo darin sollte das Kloster der Peruliah liegen.

Eine genauere Beschreibung hatte sie nicht, denn die Peruliah schätzten ihre Einsamkeit und Abgeschiedenheit über alles.

Aber sie wußte, sie würde so lange suchen, bis sie es gefunden hatte.

Den Blick nach vorne gerichtet, machte sie sich schließlich auf, wobei sie immer noch von dem Schatten beobachtet wurde.

Sie hatte sich ein wenig verschätzt, stellte sie fest, als sie schließlich den Wa!drand erreichte.

Immerhin war sie noch einen halben Tag hierhin unterwegs gewesen.

Glücklicherweise war ihr keine der unzähligen Gefahren der Grasebene mehr über den Weg gelaufen;trotzdem war sie nicht so schnell vorangekommen,

wie sie gehofft hatte.

Der Waldrand selbst sah seltsam aus.

Wie abgeschnitten war die Grasebene am Anfang des Waldes, der gleich auf den ersten Metern undurchdringlich schien.

Es war fast so, als ob der Wald sich gegen Eindringlinge wehren würde, sie erst gar nicht in sich hineinlassen wollte.

Nola bog ein paar Äste zur Seite und versuchte, an dieser Stelle in den Wald zu gelangen, doch schon nach wenig mehr als einem halben Meter stand sie

vor einer undurchdringlichen Mauer aus Gestrüpp, die ihr Weiterkommen verhinderte.

Sie zog sich wieder auf die Grasebene zurück und suchte nach einem gangbaren Weg ins Innere des Waldes.

Trotz all ihrer Bemühungen dauerte es bis fast zum Abend, bis sie endlich einen Weg gefunden hatte.

Eigentlich war es kein Weg, sondern mehr oder weniger eine Art von Nichtvorhandensein der dicksten Vegetation.

Die Stelle war so eng und kaum sehen, daß sie fast an ihr vorbei gelaufen wäre, doch aus den Augenwinkeln heraus hatte sie sie entdeckt.

Der Weg hinein in den Wald war trotzdem schwieriger als sie es sich vorgestellt hatte Doch nach viel- leicht zehn Metern schien der Wald

seinen Widerstand gegen sie aufgegeben zu haben.

Es schien, als ob er ihr Platz machte, damit sie besser vorankam, und nach weiteren zwanzig Metern erreichte sie so etwas wie eine Lichtung.

Vorsichtig schaute sie sich um, konnte jedoch kein Anzeichen von Gefahr entdecken.

So ließ sie sich also nieder und ruhte ein wenig aus.

Sie setzte sich auf den Boden der Lichtung und drehte sich langsam im Kreis.

Doch außer dem Weg, durch den sie die Lichtung erreicht hatte, schien alles undurchdringliches Gebüsch zu sein.

Warum hatte der Wald sie so weit kommen lassen, wenn er sie jetzt nicht mehr weitergehen ließ?

Sie wußte keine Antwort auf diese Frage, auch wenn sie sich sagte, daß das Gefühl, das sie in bezug auf den Wald hatte, eigentlich ziemlicher Blödsinn war,

denn wie konnte ein Wald wohl entscheiden, ob man in ihn eindringen konnte oder nicht?

Noch während sie weiter überlegte, wuchs anscheinend plötzlich ein Schatten aus dem Waldboden der Lichtung.

Eine rotgewandete Gestalt stand mit einemmal vor ihrund lächelte sie an.

Ungläubig schaute Nola die fremde Gestalt an.

Sie hatte auf den ersten Blick erkannt, daß es sich um eine der Peruliah handelte, die sie aufsuchen wollte.

"Hallo, Nola!"

"Hallo..."

"Ich bin Jeraga, und es ist schön, daß du hierhin gefunden hast", sprach die Peruliah mit ruhiger Stimme und lächelte Nola weiter an.

Nola wollte etwas sagen, doch die Peruliah bedeutete ihr, still zu sein.

"Ich weiß, was du sagen willst. Aber es ist jetzt noch nicht die Zeit dafür.

Später vielleicht, wenn du die Fragen dann noch stellen willst, wenn sie sich noch nicht von selbst beantwortet haben.

Für jetzt jedoch nur eins: Ich beobachte dich schon, seit du deine Eltern verlassen hast.

Du hast alle Prüfungen bestanden, wenn auch etwas unkonventionell ", Jeragas Lächeln wurde bei diesen Worten wärmer.

"Aber du hast sie überlebt, das ist das einzige, was zählt. Und du hast den Eingang in den Wald gefunden. Jetzt ist es an mir,

dich weiter zu führen, wenn du wirklich noch willst.Bedenke, du wirst deine Eltern wahrscheinlich nie wieder sehen, und es wird dir zeitweise überhaupt nicht bei uns gefallen,

so daß du dich oftmals zurückwünschen wirst, aber das ist dann nicht mehr möglich. Willst du wirklich eine von uns werden?Oder möchtest du doch lieber zurück zu deinen Eltern?"

Nola schaute die Peruliah entsetzt an.

"Nein, schick mich bloß nicht zurück!"

Jeraga lächelte wieder.

"Schön. Eigentlich habe ich es gar nicht anders erwartet. Und ich glaube, daß du eine der ganz großen Peruliah werden wirst.

Das hat mir dein Mut und deine Entschlossenheit zusammen mit deinem Einfallsreichtum schon auf der Reise hierhin gezeigt. Aber laß uns jetzt losgehen. Allein würdest du unser Kloster nie finden, deshalb werde ich dich von hier an begleiten.

Der Wald würde dich allein nicht bis zu uns durchlassen. Aber du brauchst dich nicht zu fürchten, denn ich bin jetzt bei dir. Und irgendwann wird der Wald auch dir gehorchen."

Jeraga schritt zum Rand der Lichtung.

Vor ihr schien der Wald zurückzuweichen, denn plötzlich erschien ein Pfad vor ihr.

Nola war sich sicher, daß hier vorher kein Durchkommen gewesen war.

Aber sie dachte nicht weiter darüber nach, denn sie war glücklich.

Sie hatte die Peruliah erreicht und würde eine von ihnen werden.

Das mit dem Wald würde sie auch irgendwann lernen, und bis dahin war ihr diese Sache eigentlich ziemlich egal.

Sie stand auf und folgte der Peruliah, die immer weiter in den Wald eindrang.

"Jeraga?" sprach sie die andere an.

"Ja, meine Kleine?"

Jeraga hatte angehalten und sich zu ihr umgewandt.

"Woher wußtest du eigentlich, daß ich versuchen würde, zu euch zu kommen?"

Die Peruliah lächelte nur und setzte ihren Weg fort.

ENDE © 10.03.96 by Winfried Brand

,

Die Würfelwelt
Unterstützt von Webnode
Erstellen Sie Ihre Webseite gratis! Diese Website wurde mit Webnode erstellt. Erstellen Sie Ihre eigene Seite noch heute kostenfrei! Los geht´s